Eine Einschätzung dazu von Professor Andreas Kaplan, Rektor der ESCP Berlin

Wie heißt es so schön, die Gegenwart lässt sich selten ohne ein Verständnis für die Vergangenheit begreifen. Lassen Sie mich deshalb kurz einen Blick zurück werfen, zu den Anfängen der Business School, der Gründung der ESCP im Jahre 1819 in Paris. Es ist die Zeit der Umbrüche, nicht nur der politischen: Die Industrialisierung sorgt in England bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts für völlig neue Produktionsbedingungen. Deutschland, Frankreich und weitere europäische Länder erleben ab dem 19. Jahrhundert tiefgreifende wirtschaftliche Veränderungen. Und es ist eine Zeit der Globalisierung, der Kommunikation und der Mobilität in vorher unbekanntem Ausmaß. Die Dampfschifffahrt und Telegrafie lässt die Welt zusammenwachsen.

Die Anfänge: Vom Entrepreneur zum Manager

Diese Ära der Veränderung verlangt nach neuen Ideen und Ansätzen für die Wirtschaft. So ist es nicht verwunderlich, dass einer der bedeutendsten Mitbegründer der ESCP, Jean-Baptiste Say, nicht nur das Konzept der Business School mitentwickelt hat, sondern auch das Verständnis des Entrepreneurs auf ihn zurückzuführen ist. Die Anfänge der Business School waren zugleich auch die Anfänge von Entrepreneurship und Unternehmertum. Durch die wachsende Industrialisierung entstand nach und nach ein verändertes Verständnis von Führungs- und Leitungsaufgaben, die es weiter zu entwickeln und zu professionalisieren galt. Unternehmen wurden größer, mussten effizienter geführt werden. Neben den Entrepreneur und Unternehmer trat der Manager mit zentralen Aufgaben für Planung, Organisation und Führung. Bildungseinrichtungen begannen spezifische Kurse hierzu anzubieten. Entsprechend umfassten auch die ersten Lehrpläne der ESCP sowohl theoretische als auch praktische Ansätze der Manager-Ausbildung, wie zum Beispiel pädagogische Planspiele. Etabliert hat sich der Begriff des Managers schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts.

Fremdsprachenausbildung und kulturelle Vielfalt – bis heute

Kurse in zehn verschiedenen Sprachen, drei der Sprachkurse sind Pflicht - das ist kein Novum an der ESCP. Die Fremdsprachenausbildung war bereits mit Gründung der weltweit ersten Business School fester Bestandteil des Lehrplans – und schon damals mit der Zielsetzung verbunden, den internationalen Handel zu fördern. Somit ist die internationale Ausrichtung der ESCP gewissermaßen in der DNA der Hochschule angelegt. Und auch in den ersten Klassen der Business School kamen bereits über ein Drittel der Studierenden nicht aus Frankreich, sondern aus anderen europäischen Ländern, von anderen Kontinenten. Mittlerweile ist die ESCP ein Multicampus-Modell (1973 ins Leben gerufen) und in Berlin, London, Madrid, Paris, Turin und Warschau ansässig: Die Studierenden absolvieren ihr Studium in verschiedenen Ländern. Im dreijährigen Bachelorprogramm wechseln sie beispielsweise jedes Jahr an einen anderen Standort der ESCP. Im zweijährigen Master in Management-Programm führt das Studium die Teilnehmer/-innen in bis zu vier verschiedene Länder – entweder an einen der hochschuleigenen  Standorte oder an eine der über 100 Partnerhochschulen weltweit.

Digitale Transformation geht auch die Hochschulen an

War es damals die Industrialisierung, fordert heute die Digitalisierung neue Ideen und Herangehensweisen. Es ist im Grunde nicht überraschend, dass Entrepreneurship und Unternehmertum wieder an Relevanz gewinnen. Wir erleben somit gerade ein „Back-to-the–Roots“ der Business School und der Management-Ausbildung. Und auch die Wissensvermittlung selbst wird durch die digitale Revolution (Stichwörter sind hier künstliche Intelligenz, MOOCs und SPOCS) grundlegend hinterfragt und verändert. Wissen ist inzwischen allgegenwärtig und kann schnell über das Handy oder Tablet abgerufen werden. Eine Business School, die sich hauptsächlich als Wissensvermittlerin versteht, wird auf zunehmendes Unverständnis der Studierenden stoßen. Zukünftig wird von den Hochschulen vor allem Unterstützung bei der Kompetenzentwicklung erwartet und weniger reiner Wissenstransfer. Professoren/innen und Lehrende werden vom Wissensvermittler zum Moderator und Coach. Die traditionelle Vorlesung gehört damit der Vergangenheit an. Vielleicht wird es künftig sogar einen triftigen Grund geben müssen, damit Studierende an die Uni kommen, da sie sich Wissen gegebenenfalls auch online aneignen können. Vor diesem Hintergrund werden Teamarbeit, individuelle Coachings und Gruppencoachings High-End Facilities künftig nicht mehr nur ein ‚nice to have‘ sein, sondern ein selbstverständliches Angebot im Rahmen des Studiums.

Forderung nach mehr Praxisrelevanz der Lehre

Auch die Inhalte von Lehre und Forschung gilt es grundlegend zu überdenken. Die zunehmend stärkere Verlagerung auf wissenschaftlich fundierte Studien führte dazu, dass die Forschungsergebnisse nicht immer unbedingt relevant für die Arbeitsmarktvorbereitung der Studierenden sind (die Rigour vs. Relevance Debatte). Ziel wissenschaftlicher Forschung sollte es aber sein, den Bezug zur Anwendung in der Praxis nicht zu verlieren. Gerade für Business Schools ist relevant, den Studierenden die aktuellsten Erkenntnisse aus Management und Forschung vermitteln zu können. Denn in der schnelllebigen Zeit von heute wollen Absolventen nach ihrem Studium direkt in den Beruf einsteigen können. Unternehmen und Arbeitgeber erwarten andererseits, dass sich neue Mitarbeiter rasch einarbeiten, um eigenverantwortlich Aufgaben übernehmen zu können.

Nachhaltigkeit als fester Bestandteil des Curriculums

Gerade während und nach der Finanzkrise wurden vor allem die renommiertesten Institutionen wegen mangelnder ethischer Fragestellungen und damit einhergehender Entscheidungsfindungen im Vorlesungssaal kritisiert. Wir erleben heute, dass für viele Studierende und Absolventen Nachhaltigkeit ein zentrales Thema ist – sie möchten die Welt zumindest ein Stück weit positiv beeinflussen und zum Besseren verändern, vielleicht mehr als die Generationen vor ihnen. Um weiterhin attraktiv für Studierende zu sein, werden Business Schools einige Anstrengungen unternehmen müssen, um nicht nur das richtige Image, sondern vor allem auch die entsprechenden Studieninhalte in den Bereichen Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility anbieten zu können.

 

Weiterführende Literatur:

  • Kaplan Andreas (2018) A school is “a building that has four walls…with tomorrow inside”: Toward the reinvention of the business school, Business Horizons, 61(4), 599-608.
  • Kaplan Andreas (2018) Happy birthday to 200 years of management education, The Conversation, August 30, 2018.
  • Kaplan Andreas (2018) Towards a Theory of European Business Culture: The Case of Management Education at the ESCP Business School, in Suder Gabriele, Riviere Monica, Lindeque Johan (eds.), The Routledge Companion to European Business, Routledge, 113-124.
  • Kaplan Andreas (2018) Une école de commerce est aussi forte que la communauté qu’elle façonne : la preuve par quatre, The Conversation, August 20, 2018.
  • Kaplan Andreas (2017) Academia Goes Social Media, MOOC, SPOC, SMOC, and SSOC: The digital transformation of Higher Education Institutions and Universities, in Bikramjit Rishi and Subir Bandyopadhyay (eds.), Contemporary Issues in Social Media Marketing, Routledge.
  • Kaplan Andreas (2015) European business and management (Vol. I - IV), Sage, London.
  • Kaplan Andreas (2014) European management and European business schools: Insights from the history of business schools, European Management Journal, 32(4), 529–534.
  • Kaplan Andreas, Michael Haenlein (2016) Higher Education and the Digital Revolution: About MOOCs, SPOCs, Social Media and the Cookie Monster, Business Horizons, 59(4), 441-450.
  • Pucciarelli Francesca, Andreas Kaplan (2017) Le Università Europee oggi: sfide e nuove strategie, Economia & Management, gennaio/febbraio, n.1, 85-95.
  • Pucciarelli Francesca, Andreas M. Kaplan (2016) Competition and Strategy in Higher Education: Managing Complexity and Uncertainty, Business Horizons, 59(3), 311-320.